Emilie Engelmann

Emilie Engelmann wurde am 31. Juli 1888 als zweitjüngstes von zehn Kindern des Schneidermeisters Karl Engelmann und seiner Ehefrau Henriette im Uplanddorf Ottlar geboren. Schon als Schulkind hatte sie den Wunsch, Krankenschwester zu werden. Während eines Missionstages in Usseln sah sie die „Schwestern“ und „da war die Liebe desto größer. Seitdem faßte ich den festen Entschluß, Krankenschwester zu werden und ließ mich nicht mehr abhalten“. Das schrieb sie in ihrem Lebenslauf, mit dem sie sich im September 1906 im Waldeckschen Diakonissenhaus um die Aufnahme bewarb.

 

Am 19. Oktober 1906 trat sie in die Schwesternschaft des Diakonissenhauses in Arolsen ein und wurde am 4. Dezember im Mutterhaus eingekleidet. Am 19. April 1914 wurde sie eingesegnet. Die Ausbildung zur Krankenschwester absolvierte Emilie Engelmann im Krankenhaus in Bad Pyrmont. Während des Ersten Weltkriegs pflegte sie verwundete Soldaten im Lazarett, das im Arolser Bathildisheim eingerichtet worden war.


 

Von 1919 bis 1920 wurde sie in Kassel zusätzlich als Kindergärtnerin ausgebildet. Danach arbeitete sie sechs Jahre im Arolser Kindergarten, als Handarbeitslehrerin und in der Krankenpflege. 1927 übernahm sie die Leitung des Korbacher Kindergartens. Von dort ging die Diakonisse 1931 nach Neu-Berich, wo sie die Leitung des Hauses Waldfrieden übernahm, des Pflegeheims für Menschen mit geistiger und mit mehrfacher Behinderung.

 

„Sie war eine wunderbare Frau, ruhig, freundlich, lieb, Schwester und Mutter zugleich. Die Kinder sagten auch Mutter zu ihr. Sie sprach immer von „ihren Kindern“. Wenn Eltern kamen, nahm sie sich immer Zeit, bewirtete sie mit einer Tasse Kaffee, tröstete und berichtete,“ erinnert sich Hulda Peuster, die in den 1960er Jahren im Haus Waldfrieden gearbeitet hatte.


Schwester Emilies Bestreben war, dass alle, die etwas lernen konnten, gefördert wurden. Die Bewohner halfen beim Anziehen der Kinder, sie fütterten bei den Mahlzeiten, fuhren Kinder im Sportwagen spazieren, halfen beim Abwasch, Betten machen, Zimmer putzen. Als eine Näh- und Flickstube eingerichtet wurde, lernten die Bewohner dort und machten Handarbeiten.


1938 kamen erstmals Kinder mit geistiger Behinderung aus dem Raum Berlin nach Waldfrieden. Dort wurden Stationen aufgelöst, weil sie für Körperbehinderte bestimmt wurden.

 


Haus Waldfrieden blieb vom Nationalsozialismus nicht verschont. Im Sommer 1940 brachte der Helser Bathildisheim-Leiter Pastor Karl Preising dort die 79-jährige jüdische Bürgerin Klara Schürmann „in Sicherheit“, wie Arolser aus ihrer Erinnerung erzählten. Am 25. September 1940 mussten sieben Jüdinnen mit Behinderung aus dem Haus Waldfrieden in die Landesheil- und Pflegeanstalt Gießen überstellt werden. Das hatte das Reichsinnenministerium angeordnet. Von dort wurden sie am 1. Oktober des Jahres in eine „Sammelanstalt“ deportiert. Diese Frauen gehen zu lassen, muss den Schwestern sehr schwer gefallen sein.

Die Schwester taten ihr Möglichstes, um die ihnen anvertrauten Bewohner möglichst unbeschadet durch die Kriegszeit zu bringen. (Näheres hierzu im Kapitel über die Geschichte des Hauses Waldfrieden/Heilpädagogische Wohnstätten).

                                             

Im Krieg wurden ausgebombte Flüchtlinge, Vertriebene, selbst ehemalige Soldaten aufgenommen. Nach Kriegsende zogen zwei Hauptleute, die nicht nach Berlin zurückkonnten, ins Haus Höhenblick ein.


Emilie Engelmann schaffte auch für den Oberkirchenrat Gerstberger aus Eger mit seiner Frau und einer kleinen Tochter Quartier im Haus Waldfrieden. Gerstberger wollte eigentlich nur für vier Tage bleiben – schließlich wurden vier Jahre daraus. Er wollte – trotz einer schweren Herzerkrankung – eine Gemeinde im Waldecker Land übernehmen. Als er die Gemeinde gefunden hatte, konnte er seinen Dienst wegen der Erkrankung nicht mehr antreten. Gerstberger blieb mit seiner Familie im Haus und bat darum, der Waldfrieden-Gemeinde dienen zu können. Vier Jahre hielt Gerstberger gemeinsam mit seiner Frau dort die Gottesdienste.


Im November 1956 feierte Emilie Engelmann das goldene Schwestern-Jubiläum. „Nichts ist ihr zuviel,“ sagte damals der Helser Dekan   Möller, der das Bathildisheim leitete. „Tante Mielchen gibt in ihrem aufopferungsvollen Dienst an ihren über 100 Pfleglingen, von denen eine ganze Reihe erst drei oder vier Jahre alt sind, ihre ganze Kraft und Liebe her“.   Sie sei eine schlichte, treue Christin, die aus ihrem Glauben die Kraft schöpft für ihren verantwortungsreichen, schweren Dienst. Mit ihrer offenen, herzhaften Art habe sie sich bei Mitarbeitern und Bewohnern, aber auch den Neu-Berichern beliebt gemacht. Manche trüben Tage habe sie mit munterem Lachen durchsonnt.


Emilie Engelmann starb am 29. Juni 1963. Sie war kurz vor ihrem 75. Geburtstag gestürzt und hatte einen Schenkelhalsbruch erlitten. Von dessen Folgen erholte sie sich nicht wieder und starb schließlich an Herzversagen.


In Neu-Berich denkt man noch heute an die beliebte Diakonisse. Unter anderem hatte sie sich als Gemeindeschwester oft um die kranken Bericher gekümmert, bevor ein Arzt gerufen wurde. Wenn es eilig war, setzte sich Emilie Engelmann ohne Umstände hinten aufs Motorrad oder auf den Trecker des Hilfesuchenden und fuhr mit ihm zu dem Kranken.

 

Die enge Verbindung zwischen Neu-Berich und dem Haus Waldfrieden ist auch nach außen sichtbar: So wurde die Straße zu den Heilpädagogischen Wohneinrichtungen als Emilie-Engelmann-Straße benannt.Auch in den Einrichtungen selbst wird die Erinnerung an die engagierte Frau gepflegt: Im Dezember 2006 wurde im Wirtschaftsgebäude das Café Mielchen eröffnet, gemeinsam betrieben von den Werkstätten und den Wohneinrichtungen. Das Café soll Begegnungsstätte für Bewohner, Beschäftigte, Freunde und Besucher sein.

Autor: Bernd Schünemann

 

Die Informationen, die diesem Bericht zugrunde liegen, sind der Broschüre „…Mein Lohn ist, dass ich darf.“ entnommen. Am Beispiel der Schwester Emilie Engelmann beschäftigt sie sich mit Diakonissen aus dem Waldeckschen Mutterhaus als Frauen, die Akzente setzten. Die Broschüre entstand im Januar 2001 im Zusammenhang mit einer Ausstellung in der Bad Arolser Stadtkirche zur Ausstellung „Frauen gestalten Frauengestalten“.