Umzug mit Pferde- und Ochsengespannen
von Bernd Schünemann
Sie kamen mit Pferde- und Ochsengespannen, auf denen sie ihr gesamtes Hab und Gut aus dem Edertal in den Norden des Fürstentums Waldeck brachten: Acht Familien aus Berich und neun Familien aus Bringhausen wurden in Neu-Berich angesiedelt, weil ihre Heimat in den Fluten des Edersees untergehen sollte. Die Talsperre im Edertal ließ Preußen bauen, um den Schiffsverkehr auf der Weser und dem neuen Mittellandkanal auch in trockenen Zeiten sicherzustellen.
150 Familien mit 900 Menschen in den waldeckischen Dörfern Bringhausen und Berich und im preußischen Asel mussten ihre Gehöfte aufgeben und wurden umgesiedelt. Die meisten fanden Siedlungsplätze oberhalb der künftigen Wassermassen. Doch dort reichte der Platz nicht für alle. Für sie hatte Karl Meyer, Architekt und Hochbautechniker der Weserstrombauverwaltung in Hannover, Neu-Berich auf dem Reißbrett entworfen.
Vorangegangen war die Suche nach einer geeigneten Fläche. Die Fürstliche Landwirt-schaftsverwaltung hatte die Übersiedlung auf eine fürstliche Domäne vorgeschlagen. Und die wurde mit der 187 Hektar großen Domäne Büllinghausen zwischen dem waldeckischen Wetterburg und dem damals kurhessischen Volkmarsen gefunden. 1910 begannen die baulichen Vorbereitungen, 1911 wurde das neue Dorf gebaut. Am 13. Juli 1912 wurde es festlich eingeweiht, unter anderem in Anwesenheit des Fürstenpaares Friedrich und Bathildis von Waldeck und Pyrmont.
Warteten im Norden Waldecks auch moderne Häuser auf Bericher und Bringhäuser, so fiel ihnen die Trennung von ihrer Heimat dennoch schwer. Sie hingen am Edertal – und entschieden sich, ein Stück Heimat nach Neu-Berich mitzunehmen: die Bericher Klosterkirche. Mit der Einweihung des Dorfes 1912 wurde der Grundstein für die Kirche gelegt. Die sollte – um zwei Joche kleiner – in Neu-Berich wieder aufgebaut werden. Deswegen hatten die Umsiedler Türen und Fenster, Fußboden, die Orgel und den Altar ebenfalls auf Pferde- oder Ochsengespannen mitgenommen.
Mit den Landwirten kamen fünf Handwerker, ein Gastwirt, ein Tagelöhner, der Gemeindediener (Polizeidiener, Hirte und Totengräber) sowie der Lehrer aus dem Edertal nach Neu-Berich. Zum Teil waren über 20 Fuhren notwendig, um Hausstand, Tiere und Ernte aus dem sonnigen Edertal nach Neu-Berich zu transportieren. Etwa zehn Stunden dauerte eine Fahrt mit dem Gespann. 1911 brachten die Neu-Bericher zwei Ernten ein: eine auf ihren angestammten Feldern im Edertal und eine in der künftigen Heimat.
Nur wenige Jahre nach der Dorfgründung begann der Erste Weltkrieg. Vier Opfer beklagten die Bericher Familien. Und nur ein Vierteljahrhundert später ging erneut ein Krieg von Deutschland aus. Er kostete zwölf Soldaten das Leben, die für die Nazis sterben mussten. Ende März 1945 waren sechs Jahre Weltkrieg vorbei. Die Einwohnerzahl des kleinen Dorfes hatte sich durch Flüchtlinge fast verdoppelt, als die Amerikaner in Neu-Berich einmarschierten.